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Trüb Fridolin
* 8.10.1919 St.Gallen (Switzerland)
+ 13.02.2017 St.Gallen (Switzerland)

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Fridolin Trüb: Dem Frieden entgegen, 30 Geschichten und eine halbe.
St.Gallen (2009)

  

Fridolin Trüb

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St.Stephan 1945 (Switzerland)

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Ein Schlüsselerlebnis

In unserem Elternhaus war der Zivildienst schon früh ein Thema. Mein Vater hatte die Zeitschrift „Le Service Civil", das „Bulletin", wie wir's immer nannten, schon seit der ersten Nummer abonniert: Die Nr. 1, Bern, April 1935, bringt von Alfred Bietenholz den Artikel „Heute Zivildienst?", von Hélène Monastier eine frühe, kurze Geschichte des Zivildienstes, von Clärly Knuchel gesammelt: Zivildienst-Grüsse aus aller Welt, den Aufruf für die Dienste 1935, Sekretariat in Bern mit Rodolfo Olgiati. Zivildienst-Bulletin und Newsletter begleiten mich bis heute.

1945 nun: In den Sommerferien kann ich erstmals an einem Zivildienst teilnehmen, in St. Stephan im Simmen-tal, Berner Oberland. Zuvor war bereits ein „Chantier", wie wir die Dienste nannten, in der Lenk im Simmental. Dort „trainierten" die ersten Freiwilligen, die bereit waren, für längere Zeit einen Auslandeinsatz zu leisten.

Unser Dienst war bestimmt für Leute, die in einem Kurzzeit- oder Feriendienst den SCI kennenlernen mochten. Dies galt auch für mich. Wohl waren wir diesmal noch Schweizer unter uns, aber es wehte doch ein frischer Zug von weltweitem Geist. Zu verdanken war dies unserm Leiter (1891-1976). Er brachte Wertvolles mit: Erfahrung aus Diensten und Kontakte mit Leuten aus der Friedensarbeit. Er hatte den Militärdienst verweigert, und Leonhard Ragaz trat als Zeuge im Prozess für Schwemmer ein. Mit Wolf durfte ich zeit seines Lebens befreundet bleiben. Ihm verdanken wir auch das Unternehmen Ferienhaus Ettenberg im Appenzellerland.

Im Verlaufe des Dienstes in St. Stephan - wir räumten dort vom Wildwasser überschwemmtes Bauernland -konnten wir kurz an der Studienwoche im Turbachtal teilnehmen und (1882-1964) besuchen, die Pazifistin, die aus Deutschland fliehen konnte und hier besonders bekannt geworden ist durch ihr Wirken für das Kinderdorf Pestalozzi - neben Robert Corti. Sie hätte in ihrer Begeisterung für das Kinderdorf und für den Zivildienst diesem gerne eine aktivere Rolle in der Aufbauarbeit zugewiesen. Der Zivildienst hat dann Freiwillige für den Bau in Trogen vermittelt.

Ich habe das Jahr 1945 ein „entscheidendes" Jahr genannt. Es wurden die Atombomben über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen! Dazu aber zwei positive Meldungen: Die UNO wurde gegründet, und im letzten Monat des Jahres der „Schweizerische Friedensrat". Der Zivildienst gehörte zu den Gründer-Organisationen - und gehört ihm heute noch an.

Von einem eigentlichen Aufbruch für eine neue Friedenszeit war allerdings nicht viel zu spüren. Auf Militärseite warb das Buch „Bürger und Soldat" für eine Nachrüstung. Auf pazifistischer Seite ging man freilich früh ans Planen. Kramer/Nabholz/Siemsen/Ragaz publizierten bereits 1941 „ ", ihre politischen, wirtschaftlichen, sozialen und geistigen Grundlagen.

Hinterlassenschaft des Krieges

Der Zivildienst hatte mich im Jahre 1945 so sehr gepackt, dass ich mich entschied, für ein ganzes Jahr meine Arbeit in der Schule (Zeichnen in verschiedenen Schulhäusern Basels) zu unterbrechen und an Zivildienst-Einsätzen im Ausland teilzunehmen. Die Erfahrung von 1945 hatte mich motiviert. Dazu kamen die Teilnahme an der Zivildienst-Jahresversammlung im Winter 1946, die Begegnung mit Rodolfo Olgiati, Willi Begert und vielen anderen. Die Berichte von Freiwilligen, die auf der Insel Walcheren in den Niederlanden und in Saarbrücken gearbeitet hatten, hörte ich mit Interesse, ohne zu ahnen, was sie für mich bedeuten könnten...

Im Frühling begann für mich das Zivildienst-Jahr. Der entscheidende Dienst war wiederum in St. Stephan; wir räumten ein anderes Stück Land und wohnten in einem anderen Bauernhaus. Ralph Hegnauer, der SCI-Sekretär, hat mich als Leiter bestimmt und einer Freiwilligen namens Elisabeth Mauch die „Hausarbeit" übertragen. Wir zwei sahen uns nur kurz auf dem Sekretariat in Zürich und fuhren zu gegebener Zeit ins Simmental. In der Schmalspurbahn schlug ich mit meinem übervollen Rucksack die Glühbirne in Stücke... Dies sollte zum Glücksfall für uns beide werden!

Mit wenig Erfahrung und viel Improvisation richteten wir uns ein. Wir waren abhängig von den Lebensmittelkarten und anfangs von Vorräten, die Clärly Knuchel in Basel für uns besorgt hatte. Der Dienst wurde durch die Teilnahme von Pierre aus Frankreich rasch zweisprachig und international. Ein so guter Geist belebte die Gruppe, wir arbeiteten viel, lachten und sangen viel - Ralph bestimmte, wer wohin und was.

Lisbeth wurde einer Handwerker-Equipe zugeteilt, die in Metz (F) arbeitete - Malerarbeiten in einem Waisenhaus und in einem Spital. Lisbeth lernte gipsen und malen und blieb mir durch lebhaften Briefwechsel verbunden.

Mich „verschlug" es nach der Insel in den Niederlanden. Die Insel an der Südwest-Ecke der Niederlande hatte ein ungewohntes Kriegs-Schicksal erlebt. Weil die deutsche Armee die Deiche dieses unter Meeresspiegel liegenden Landes bis zuletzt verteidigte, mussten die alliierten Befreiungstruppen gemeinsam mit den Niederländern diese Deiche sprengen und das Land unter Wasser setzen: „Walcheren ertrank für Europas Befreiung."

Als der niederländische Zivildienst-Zweig 1945 zu helfen begann, stieg die Flut noch täglich und erschwerte die Arbeit. Als ich ein Jahr später zur Gruppe stiess, waren die Deiche provisorisch geschlossen. Wir legten im versalzten, braunen Land Entwässerungsgräben an und führten im Dorf einen Kindergarten. Für das Winterhalbjahr wurde danach die Stadt Saarbrücken (französisch besetzt) mein Arbeitsort. Der Zivildienst leistete vielseitige Sozialhilfe im Rahmen des „Schweizer Spende"-Städteprogramms (mit Suppenküche, Kindergarten, Nähstube und ärztlichem Dienst).

Wie die Überlebenden in dieser durch Bombardement zu 80% zerstörten Stadt sich einrichteten, war erstaunlich. Für sie waren wir die „Helfer" - doch diese Rolle lag uns eigentlich nicht. Ihre Freundschaft bleibt uns in guter Erinnerung.

Zivildienst im Einsatz

In meiner Basler wie in der St. Galler Zeit nahm ich an etlichen Diensten teil, meist nur für kürzere Zeit in den Ferien. Für die Jahre 1948-1952 war ich Präsident des Schweizer Zweiges, der sich „Schweiz. Vereinigung für Internationalen Zivildienst" nennen musste, damit er als Landdienst anerkannt wurde. Diese Einsätze führten mich nach Frankreich, Deutschland und Österreich.

An einem Chantier mit Castors in Frankreich konnten Lisbeth und ich gemeinsam teilnehmen. „Castor" ist das französische Wort für Biber, das Nagetier, das sich seine Behausung aus selbst gefällten Bäumen baut. Castors sind in Frankreich Leute, die sich zusammentun, um in ihrer Freizeit unter kundiger Leitung die Häuser ihrer Siedlung zu bauen. Sobald ein Haus fertig gebaut ist, darf eine bedürftige Familie einziehen. Gelebte Gemeinschaft! Oftmals hat der SCI dabei geholfen. In Pessac / Bordeaux waren wir mit dabei.

Eine Naturkatastrophe eindrücklichster Art erlebte ich in Österreich, unweit der Schweizer Grenze. Der Winter 1954 wurde für das weite Alpengebiet ein Lawinen-Winter. Im kleinen Dorfe Blons im Grossen Walsertal zerstörte eine Lawine das halbe Dorf: 54 Menschen fanden den Tod. Vom Frühjahr an übernahm der SCI bei Räumungsarbeiten. Im Sommer war ich mit dabei. Gemeinsam mit einem Freund aus Dänemark half ich unter anderem beim Heuen in Familien, wo Angehörige fehlten - den Tod gefunden hatten.

Fridolin Trüb visits workcamp in La Chaux-de-Fonds 1998

Fridolin Trüb visits SCI workcamp in
La Chaux-de-Fonds 1998

Von zwei Einsätzen möchte ich kurz berichten, die in meine Präsidialzeit fielen. Die Arbeit war mir nur möglich, weil ein Freund Sekretär des SCI war, der sich in unvergleichlicher Weise der Aufgabe hingab, Marcus Jucker (1914-1987). Er war Arzt und engagierte sich für längere Zeit ganz beim SCI. 1951 war ein Lawinenwinter. Im Unterengadin wurde Hilfe nötig. Die Schneeräumungsarbeiten dauerten bis in den Sommer. Vier Organisationen, darunter der SCI, übernahmen die Arbeiten. hat das ganze Unternehmen koordiniert. Mit zwei Freiwilligen aus der Rovergruppe blieb ich bis heute freundschaftlich verbunden.

Im Winter des Jahres 1953 hat eine grosse Überschwemmungskatastrophe die Niederlande heimgesucht. Wieder war internationale Hilfe gefragt. Von Seiten der Schweiz war nur ein kleiner, aber konkreter Beitrag möglich. Man entschied sich für die Lieferung von Baracken für Arbeiter in den Notgebieten. Der SCI-Zweig Schweiz vermittelte Freiwillige für Transport und Aufbau der Baracken. Unser Sekretär war der gefragte Koordinator.

Marcus Jucker ging später wieder seiner ärztlichen Tätigkeit nach, ist dann aber früh verstorben. Zivildienst im Einsatz

Literaturhinweise

  1. Felix Schwemmer / Wolfgang Schwemmer. Ein Leben für andere / Schwitter, Egnach 1977
  2. Elisabeth Rotten / Sieg ohne Waffen in „Wissen und Verantwortung" /Goltze, Göttingen 1959
  3. Weltaktion für den Frieden RUP, Schweizer Zweig (Hrsg.) / Die neue Friedensordnung, Zürich 1941
  4. A. Den Doolaard / Walcheren komt bowen water / De Bezige BIJ, Amsterdam 1946
  5. Marcus Jucker in „Freiwillige Arbeitslager in Lawinengebieten der Schweiz" / SCI, Zürich 1952

 

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