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Geschichte des SCI in Deutschland
  

Geschichte des SCI in Deutschland

Der erste SCI-Dienst in Deutschland

by Joachim Frege (Jan 7, 1999)

Vom 25. Februar bis zum 26. März 1946 arbeiteten britische und deutsche Freiwillige gemeinsam im damaligen Grenzdurchgangslager Friedland bei Göttingen. Wie war es dazu gekommen ? Joachim Frege berichtete 1996 darüber :

Poster Friedland 1945

Um zu erklären, wie ich nach Friedland kam, muß ich ein klein wenig ausholen. In Schlesien geboren, wohnte ich ab 1932 in Berlin. Die evangelische Kirche in Dahlem war damals ein Zentrum der bekennenden Kirche (Martin Niemöller), zu der ich gehörte. Um der Einflußnahme der NSDAP auf die Berufsausbildung auszuweichen, trat ich 1938 in Liegnitz als Offiziersanwärter in das Heer ein. Dort lernte ich eine Familie näher kennen, die ich nach dem Kriegsende im August 1945 in Friedland südlich von Göttingen wiederfand, wohin sie geflüchtet war.
Von dieser Familie hörte ich, daß die Universität Göttingen im September 1945 ihren Betrieb wieder aufnehmen werde. Ich war damals nach einer vierwöchigen amerikanischen Kriegsgefangenschaft bei Freunden in Hessen untergekommen und ließ mich in Göttingen in der juristischen Fakultät einschreiben. Der Vorlesungsbetrieb begann Ende Oktober. Mitte November waren die ersten Wahlen zur allgemeinen Studentenvertretung (Asta). Da ich politisch unbelastet war, kandidierte ich auf Wunsch verschiedener Gruppen und wurde als einer der Vertreter der juristischen Fakultät gewählt. Dadurch entstand unter anderem eine nähere Verbindung zur britischen Universitätsverwaltung (der Besatzungsmacht).

Da ich in Göttingen keinen häuslichen Rückhalt hatte, fuhr ich meist am Wochenende mit der Bahn nach Friedland zu den Freunden, die mich mit Verpflegung unterstützten. In Friedland läutete ich damals sonntags die Glocken der evangelischen Kirche, weil ein Küster fehlte. Bei einem Besuch Ende November 1945 erzählten mir die Freunde von den zu Fuß über die neu geschaffene Zonengrenze kommenden und mit Sack und Pack beladenen Flüchtlingskolonnen und deren behelfsmäßiger Unterbringung am Bahnhof. Als ich dieses Quartier in einem großen leeren Schweinestall ( des Versuchsgutes der Göttinger Universität ) sah, entschloß ich mich, an einer Änderung dieses schlimmen Zustandes mitzuhelfen. Am nächsten Wochenende, etwa zwei Wochen vor Weihnachten, fuhr ich mit einer Gruppe von etwa zehn Studienfreunden wieder nach Friedland, um dort beim Tragen von Gepäckstücken und beim Schieben der ( mit Gepäck hoch beladenen ) Kinderwagen zu helfen. Dabei traf ich auf einen britischen Soldaten im Sanitätsdienst, der als Helfer für die Flüchtling in Friedland eingesetzt war Ich sagte ihm, daß meine Freunde und ich beschlossen hätten, gleich nach den Weihnachtsferien zum Helfen wiederzukommen und noch mehr Helfer zu organisieren. Der britische Soldat war einverstanden und bot auch die Hilfsdienste seiner Kameraden an. Ich trug diese Hilfsaktion dem Asta und dem Rektor der Universität vor.

Beide waren einverstanden, daß die Studentenschaft diese Hilfe auf freiwilliger Basis durchführte. Im Namen des Asta erließ ich einen Aufruf an die gesamte Studentenschaft zur Teilnahme und es wurde ein Lkw mit Anhänger angemietet, der täglich vom Rektorat etwa 60 bis 100 Studentinnen und Studenten nach riedland brachte, um dort zu helfen.

Nach Weihnachten kam ich wieder mit den dort tätigen britischen Sanitätssoldaten zusammen und sie schlugen vor, gemeinsam ein Barackenlager für die Flüchtlinge aufzubauen. Die Briten wollten das Material und insbesondere die Barackenteile liefern sowie für Unterkunft und Verpflegung sorgen. Die deutschen Studenten sollten die Baracken (Nissenhütten) aufstellen und sonstige Bauarbeiten im Lager, wie Wege, Zäune usw. verrichten. Ich sprach mit meinen Freunden und sie waren einverstanden, in mehreren Gruppen in den Semesterferien jeweils für eine Woche in dem Lager mitzuarbeiten. Die Arbeit lief ab, wie in dem ( im Internationalen SCI-Archiv) vorliegenden Tagebuch von den Teilnehmern beschrieben.

Von britischer Seite waren an den Arbeiten laufend zwei Sanitätssoldaten sowie eine Soldatin beteiligt. Sie waren für die Planung und Organisation verantwortlich. Bei einer Diskussionsrunde erwähnten die britischen Freunde, sie seien Kriegsdienstverweigerer und gehörten einer internationalen Organisation für Zivildienst an. Sie erklärten dazu, für die Zusammenarbeit sei es aber nicht erforderlich, daß auch die deutschen Teilnehmer dieser Organisation beitreten und sich zur Kriegsdienstverweigerung bekennen müßten. Die Zusammenarbeit in Friedland war ein voller Erfolg. Unsere britischen Freunde baten uns daher, an weiteren internationalen Lagern, die von ihnen zum Aufbau in Deutschland durchgeführt wurden, teilzunehmen. Ich selbst beteiligte mich daraufhin im August 1946 am Wiederaufbau eines Kindergartens am Köhlbrand in Hamburg. Für weitere Lagerteilnahmen hatte ich leider keine Zeit, da ich inzwischen zum Vorsitzenden des Asta in Göttingen und der Astas aller Universitäten in der britischen Zone gewählt worden war und dringend mein Studium fortsetzen mußte.

Abschließend möchte ich betonen, daß die vertrauensvolle Zusammenarbeit ehemaliger Kriegsgegner im Lager Friedland nur sieben Monate nach Ende eines sehr harten Krieges für mich ein entscheidendes Erlebnis war. Ich bin meinen damaligen britischen Freunden und meinen deutschen Kameraden aus der Anfangszeit des Wiederaufbaus für ihren großen, selbstlosen Einsatz sehr dankbar."

Die britischen 'Sanitätssoldaten' waren Angehörige des IVSP Relief Teams 4, die den Militärdienst verweigert hatten und ihren Ersatzdienst beim britischen Zweig des SCI ableisteten. Sie waren im Juli 1945 nach Deutschland gekommen und nach einem kurzen Einsatz im Raum Salzgitter nach Bremke südlich von Göttingen verlegt worden. Von Bremke aus halfen sie unter anderem beim Aufbau des Grenz-Durchgangslagers in Friedland und bekamen dort wie auch an der Universität Göttingen Kontakt mit den Studenten. Im wesentlichen war es Ramsay Bramham, der erste Leiter dieses Relief Teams, der als alter SCI'ler die Chance witterte und nutzte, gemeinsam mit den Göttinger Studenten ein erstes "workcamp" in Deutschland durchzuführen. Ramsay organisierte diesen Dienst einfach vor Ort, ohne sich um die damals eigentlich zwingend erforderliche Genehmigung der Militärregierung zu kümmern. Angesichts des bestehenden Notstandes vor Ort fand er dabei offensichtlich auch die materielle Unterstützung anderer, denn die Teilnehmer mußten ja untergebracht und versorgt werden. Der im Hintergrund stehende, für "Erziehung" zuständige britische Jugendoffizier, Colonel Andrews, muß dabei ein Auge zugedrückt haben. Er hat sich später für die Durchführung und Förderung von workcamps in Deutschland stark persönlich eingesetzt. Nicht zuletzt ihm ist zu danken, daß im Sommer 1946 in der Britischen Besatzungszone weitere vier und in Berlin ein SCI-Dienst durchgeführt werden konnte und im Herbst 1946 die Gründung eines deutschen SCI-Zweiges möglich wurde.




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